Teilprojekt A.4

Territorialität, öffentliche Gewalt und Menschenrechte: die Grenzregimes der EU

Gegenstand des rechtswissenschaftlichen Projekts A.4 sind die Rechtsregimes der Binnen- und Außengrenzen der EU. Es fragt nach Reichweite, Formen und Folgen der menschenrechtlichen Durchdringung von (Staats-)Grenzen – ein durch rechtliche Normen, administrative Praktiken und Infrastrukturen geformter Ort hoheitlicher Interventionen in das Migrationsgeschehen. Das Teilprojekt analysiert ausgewählte Konflikte um die hoheitliche Regulierung von Mobilität an Grenzen. Insbesondere interessiert sich das Projekt dafür, wie die grund- und menschenrechtlichen Vorgaben an grenz(raum)bezogene Hoheitsgewalt in der komplexen Architektur der Grenzregimes der EU gespiegelt, modifiziert, ignoriert, bestritten oder verletzt werden.
Das Teilprojekt versteht Grenzen als eine relevante Struktur der Migrationsgesellschaft, an der Konflikte um Inklusion und Exklusion von Migrant:innen ausgetragen werden. An Grenzen ist dieses Ringen mit dem physischen Grenzübertritt und seiner rechtlichen Qualifizierung verknüpft, umfasst aber auch Praktiken wie die Inhaftierung in Grenznähe. Dabei legt das Projekt einen territorialen Grenzbegriff zugrunde, interessiert sich also speziell dafür, welche Rolle konkreten Grenzorten in einem weiter gefassten, räumlich diversifizierten Regime der hoheitlichen Regulierung von Migrationsprozessen zukommt.
Zwei konkrete im Rahmen des Teilprojekts zu erforschende Grenzregimes sind das der Binnengrenzen der EU und das Grenzregime der europäischen Flughäfen. In Bezug auf das europäische Binnengrenzregime wird untersucht, wie das EU-verfassungsrechtliche Ziel eines „Raums ohne Binnengrenzen“ sekundärrechtlich ausgestaltet ist, insbesondere im Schengener Grenzkodex. Das Projekt fragt nach, welche Spielräume für grenz(raum)bezogene Hoheitsgewalt an Binnengrenzen verbleiben, wie diese durch die Mitgliedstaaten genutzt werden und welche Konflikte darum geführt werden (Promotionsvorhaben Leon Züllig). Der Grenzraum Flughafen ist geprägt durch das Zusammenwirken einer Vielzahl von Rechtsmaterien. Die entsprechenden Vorschriften werden durch staatliche sowie private Akteure zeitlich und räumlich eng gestaffelt kontrolliert. Dieses auf Totalkontrolle aller Mobilitätsprozesse ausgerichtete Rechtsregime ermöglicht es, Grundfragen des Verhältnisses von öffentlicher Gewalt und fundamentalen Individualrechten zu thematisieren (Promotionsvorhaben Anna Arden).
In methodischer Hinsicht ist das Teilprojekt primär rechtswissenschaftlich ausgerichtet, wird jedoch Beiträge aus der sozialwissenschaftlichen Europaforschung aufgreifen, die die EU als politischen Raum beschreiben, sowie Erkenntnisse aus den interdisziplinären Border Studies rechtswissenschaftlich fruchtbar machen. Aus unionsverfassungsrechtlicher Perspektive soll der bisher wenig entwickelte föderalismustheoretische Forschungszweig zur Territorialität der EU vertieft werden.

Leitung: Prof. Dr. Jürgen Bast

Mitarbeiter:innen: Anna Arden, Leon Züllig

Justus-Liebig-Universität Gießen