Teilprojekt A.1
Who is empowered by Strasbourg? Migrant:innen und Staaten vor dem EGMR
Das Projekt nimmt die ambivalente Rolle des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) als Akteur und Forum für die Vermenschenrechtlichung der juristischen Diskurse über Migration in den Blick. Es untersucht, wie Staaten als prozessbeteiligte Akteure in migrationsbezogenen Fällen ausgrenzende „Gegennormen“ (die etwa Sicherheits-, Wirtschafts-, kulturelle und außenpolitische Interessen geltend machen) menschenrechtskompatibel vorbringen, und wie der EGMR sie in seiner Spruchpraxis verarbeitet.
Insoweit die völkerrechtlichen Vorgaben Maßstäbe für die migrationsrechtliche Praxis in den Konventionsstaaten bilden, ist die Rechtsprechung des EGMR von zentraler Bedeutung für ein Verständnis der Reichweite, Formen und Folgen des Vordringens von Menschenrechtsdiskursen in europäischen Migrationsgesellschaften. Als Akteur und Forum bildet der EGMR die von MeDiMi untersuchte Vermenschenrechtlichung migrationsgesellschaftlicher Diskurse in Europa einerseits ab, während er sie zugleich seinerseits maßgeblich prägt.
Die bisherige Forschung hat aufgearbeitet, in welchem Maß der EGMR die Anliegen von Migrant:innen aufgenommen hat, inklusive einer Analyse der strategischen Prozessführung von advokatorischen Gruppen („Norm-Entrepreneuren“). Die (subtilen) Mechanismen, die Staaten einsetzen, um ihrerseits die Entscheidungen des Gerichtshofs zu beeinflussen, sind bisher kaum untersucht. Das Teilprojekt geht der Frage nach, wie Staaten vor dem EGMR ihre Exklusionsinteressen in der Sprache der Menschenrechte vortragen und wie der Gerichtshof diese Interessen verarbeitet, sodass die Menschenrechte von ihnen mitgeformt und von innen heraus transformiert werden. Dabei geht das Projekt von der Annahme aus, dass Staaten als strategische Prozessparteien agieren, die nicht nur die Entscheidung des EGMR im konkreten Fall, sondern auch die ihr zugrunde liegende Rechtsdogmatik gemäß ihren Interessen zu gestalten suchen.
Methodisch verknüpft das Projekt Rechtsdogmatik mit rechtssoziologischen Ansätzen und Diskursanalyse. Dazu werden Urteile des EGMR zum Thema Migration im weit verstandenen Sinne seit 1998 analysiert. Für eine Auswahl von Urteilen werden zusätzlich die Prozessakten in Straßburg konsultiert, um die vollständigen Schriftsätze der jeweiligen prozessbeteiligten Staaten erfassen zu können.
Leitung: Assoc. Prof. Dr. Janna Wessels
Mitarbeiterinnen: Mónica Ávila Currás, Jessica Klüger
Vrije Universiteit Amsterdam